Ausgabesysteme

Experteninterview mit Michael Thun – (M.A., Koch) Geschäftsführer von ESSCOOLTUR Systemische Beratung im pädagogisch-kulinarischen Feld

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Michael Thun | (M.A., Koch) Geschäftsführer von ESSCOOLTUR Systemische Beratung im pädagogisch-kulinarischen Feld

Aus der Praxis: Mehr Akzeptanz für das Schulmittagessen und für nachhaltigere Speisenangebote

Wie findet ein gesundheitsförderliches und nachhaltiges Mahlzeitenangebot bei Schüler*innen mehr Akzeptanz?

Es sind insbesondere Free-Flow-Systeme oder die freie Komponentenwahl, die die Akzeptanz für die Schulverpflegung insgesamt aber auch für nachhaltigere Speisenangebote nach vorn bringen. Wir wissen, dass Free-Flow-Systeme am flexibelsten sind – und zwar nicht nur für die Schüler*innen, sondern auch für den Essensanbieter, denn dieser kann damit einfach auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren. Aus Erfahrung wissen wir, dass bei Selbstbedienung die Dynamik der Teilnahme am Mittagessen nach oben geht, die Schüler*innenzahlen steigen sogar mit zunehmendem Alter. Bei klassischen Kellensystemen haben wir genau den gegenläufigen Effekt.

Für welche Altersgruppe sind Buffetsysteme geeignet?

Das geht schon bei den Kleinsten ab Klasse eins. Die Kinder kennen das auch von Zuhause, dass sie sich selber nehmen dürfen. Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir – genau wie bei Erwachsenen – hochdifferenzierte Bedürfnisse bedienen müssen. Hier ist die freie Komponentenwahl das System der Wahl, das die wenigsten Reklamationen bringt. In weiterführenden Schulen können wir keinen Jugendlichen dazu verpflichten, mittags in die Mensa zu gehen. Wir konkurrieren also mit Pizza und Döner umliegender Angebote und sehen Abwanderungstendenzen häufig ab Klasse 7. Wir müssen dann für die Mensa werben. Aus der Gastronomie wissen wir: Wir lassen die Produkte für sich sprechen und lassen die Gäste probieren. Das geht mit Free-Flow ideal.

Kindern wird die freie Auswahl oft nicht zugetraut, weil Chaos befürchtet wird. Wie ist Ihre Erfahrung?

Genau das Gegenteil ist der Fall, Kinder kommen sehr gut damit zurecht. Es sind eher die Erwachsenen, die das den Kindern nicht zutrauen. Natürlich brauchen die Mahlzeiten eine pädagogische Begleitung, aber das ist unabhängig von der Art der Ausgabe. Hilfreich ist die Regel, dass die Kinder mehrmals nachnehmen dürfen. Sie dürfen probieren, wenn nötig, sogar teelöffelweise. Sie lernen dadurch, nicht zu viel zu nehmen, aus Angst, vielleicht leer auszugehen. So werden auch Speisereste vermieden.

Was muss bei der Küchenplanung beachtet werden?

Grundsätzlich brauchen Free-Flow-Systeme nicht mehr Platz als andere Ausgabesysteme. Die Frage ist eher organisatorisch, wie Träger und Schule die Speisenausgabe organisieren wollen. Wir brauchen Ausgabesysteme auf Augenhöhe, für Grundschulkinder gilt eine Höhe von max. 74 cm, für Schüler*innen weiterführender Schulen gilt die Standardhöhe von ca. 85 cm. Für die Buffetpflege und zum Nachfüllen ist es von Vorteil, wenn die Küche zum Ausgabebereich hin großzügig geöffnet ist. Zudem können die Kinder dann sehen, was in der Küche passiert. Wichtig ist, dass die Anzahl der Gastro-Norm-Behälter gut geplant ist, damit keine langen Wartezeiten entstehen. Daher ist es ratsam, die Schüler*innen in Gruppen aufzuteilen und die Speisen entsprechend den jeweiligen Zeitfenstern nachzufüllen, damit wir auch die Standzeiten der Speisen kurzhalten. Die Premiumlösung ist, die Ausgabewagen nicht in einer Reihe, sondern thematisch in Stationen anzuordnen, z. B. Salat, warmes Gemüse, Desserts. So ist die Skalierbarkeit optimal, weil die Küche damit auf sich verändernde Teilnehmendenzahlen am besten reagieren kann.

Ist ein bestimmtes Verpflegungssystem notwendig?

Grundsätzlich funktioniert die freie Komponentenwahl mit allen Verpflegungssystemen, aber häufig ist die Warmanlieferung mit großen Nachteilen verbunden. Vor allem Stärkebeilagen wie Nudeln und Kartoffeln oder Saucen leiden unter den Transporten und längeren Warmhaltezeiten, das wird dann nicht mehr mit Genuss gegessen. Speisenanbieter oder Schulträger, die auf Warmverpflegung setzen, kommen in einem zweiten Schritt gelegentlich zu der Erkenntnis, sensible Komponenten oder sogar alles vor Ort fertig zu stellen, anstatt das Essen erst ein paar Stunden durch die Gegend fahren zu lassen. Interessanter Benefit: Es wird weniger weggeworfen und die Küche kann flexibler auf Mengenbedarfe reagieren.

Sind Free-Flow-Systeme personalintensiver?

Nein. Die Arbeit der Ausgabekräfte wird eine andere und zwar wird sie stark qualitativ aufgewertet. Bei den klassischen Kellensystemen füllen die Ausgabekräfte die Speisen nur auf die Teller, Kommunikation ist wenig möglich. Genau die ist aber wichtig, weil wir es mit Kindern zu tun haben, die an dieser Schnittstelle auch wohlwollende Betreuung brauchen. Bei Free-Flow-Systemen ist die Buffetpflege die permanente Aufgabe. Das ist auch bei jedem Bankettgeschäft im Restaurant üblich, dass mit einem sauberen Tuch z. B. Kleckereien abgewischt werden. Dabei kann die Ausgabekraft entspannt mit den Kindern und Jugendlichen kommunizieren, sie hat direkten Einfluss auf die Präsentation der Speisen und kann die Fragen der Schüler*innen beispielsweise nach enthaltenen Allergenen direkt beantworten. Ausgabekräfte erleben das als Aufwertung ihrer Arbeit, denn sie stehen im Mittelpunkt und bekommen positives Feedback hautnah mit. Diese Möglichkeiten bestehen beim routinemäßigen Auskellen meist nicht.

Wie können Verpflegungs- und Ausgabesysteme konzipiert werden, damit möglichst wenig Lebensmittelabfälle entstehen?

Das ist eher eine Frage der Speiseplanung. Wichtig ist, dass die Speisekarte konsekutiv aufgebaut ist, also in einer zeitlichen sinnvollen Reihenfolge geplant ist. Ein Beispiel: Am Montag gibt es Möhrensalat, für den 10 Kilo Möhren geraspelt werden. Als Erfahrungswert werden 5 Kilo als Salat zubereitet, falls mehr Schüler*innen zum Essen kommen, kann einfach nachgeladen werden. Die übrig gebliebenen Möhren können für die im Wochenverlauf an einem anderen Tag geplanten Gemüsebratlinge verwendet werden. So lässt sich flexibel auf Mengenbedarfe reagieren und es bleiben keine Reste. Die regelmäßige Überlegung „Was mache ich mit den Überhängen?“ gehört zur Professionalität des Kochs/der Köchin. Es ist übrigens nicht sinnvoll, den Freitag zum Restetag zu erklären, das wirkt auf Gäste wenig attraktiv. Die Ausgabe sollte auch nur mit der Menge bestückt werden, die in 20 Minuten gegessen wird. So können die in der Küche eventuell verbliebenen Speisemengen noch weiterverwendet werden.

Welchen zentralen Rat können Sie für die Einführung von Free-Flow-Ausgabesystemen geben?

Es braucht in der Schule eine systemische Begleitung, die alle Beteiligten mitnimmt: pädagogische Mitarbeitende, Hausmeister*innen, Schulträger und Eltern. Ich rate sehr dazu, Absprachen, Regeln und Qualitätskriterien in einem Verpflegungskonzept für die jeweilige Schule zu verschriftlichen und im Schulkonzept – auch für die Öffentlichkeit – zu verankern. Auf dieses Konzept können sich alle berufen, wenn es z. B. Beschwerden gibt oder manchmal etwas nicht rund läuft. Auch die Schulverwaltung kann ein solches Verpflegungskonzept als Argumentationshilfe gegenüber der Politik verwenden, denn es handelt sich nicht um die Privatmeinung eines Einzelnen, sondern um ein abgestimmtes Vorgehen in der Schulgemeinschaft.

Das Interview führte Dörthe Wehmöller im Auftrag der Vernetzungsstelle Schulverpflegung Niedersachsen im Januar 2023.

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